Hoffnung auf Deutsch
Beim Deutschen Roten Kreuz lernen Asylbewerber die deutsche Sprache. Das hilft im Alltag. Und gegen die Ohnmacht. Von Susanne Sodan / SZ
Ingrid Rakel ist Deutsche, Sie liebt die deutsche Sprache. Und Russisch. Und Französisch – Sprachen überhaupt, andere Kulturen, andere Länder. „Ich bin eine richtige Nomadin“, sagt sie. In erster Linie aber ist sie Lehrerin – für Asylbewerber in Weißwasser.
Seit Oktober bietet das Deutsche Rote Kreuz Weißwasser einen Deutschkurs für Asylbewerber an. Schulhefte raus, Tür zu. Guten Morgen, ruft Ingrid Rakel in die Klasse. Im Chor schallt es zurück. Mittwochmorgen. Der Unterricht beginnt.
Sprechen, immer sprechen, das ist das Wichtigste. Die Begrüßungen haben die Schüler drauf, auch Zahlen sind kein Problem mehr. Jetzt liegt ein Arbeitsblatt mit kleinen Zeichnungen vor Kakhaber, einem der Asylbewerber, auf dem Tisch. Unter den Bildern stehen Berufsbezeichnungen. Kellner, Maler, Arzt, Friseur, Taxifahrer und so weiter. Die Berufe soll er den Bildern zuordnen. Wie in der
Grundschule. Dabei ist Kakhaber vielleicht um die 40 und hat schon lange einen Beruf. Genau wie seine Mitschüler. Iman hat als Friseurin, Sireta als Bäckerin und Kakhaber als Betriebswirt gearbeitet. Jetzt drücken sie alle noch einmal die Schulbank. Freiwillig. Für keinen von ihnen ist der Kurs Pflicht.
Auch für das DRK ist der Kurs eigentlich keine Pflicht. Die Mitarbeiter betreuen die Asylbewerber zwar, seitdem sie im vergangenen Jahr nach Weißwasser gekommen sind. Ein Deutschkurs stand zunächst nicht auf dem Plan. „Wir haben aber von Anfang an gemerkt, dass wir da etwas machen müssen“, sagt DRK-Mitarbeiterin Ilona Donath. „Vor allem ging es uns darum, die Kinder zu unterstützen.“
Bevor die Asylbewerber und ihre Familien nach Weißwasser gekommen sind, waren sie schon in Chemnitz und Löbau untergebracht. „In der Zeit haben viele der Kinder schon ein bisschen Deutsch gelernt“, erzählt Ilona Donath. Bis hier ein Schulplatz gefunden ist, sollten sie das nicht verlernen. Am Ende ist auch ein Kurs für die Eltern der Kinder zustande gekommen. Weil sie es wollten. „Wenn man sich nicht verständlich machen kann, ist man doch im Alltag völlig erschlagen“, sagt Ilona Donath. Sieben bis zehn der Asylbewerber drücken nun jeden Mittwoch für eine Stunde die Schulbank.
Die allermeisten haben tatsächlich bei Null angefangen. Die Asylbewerber kommen aus dem Libanon, aus dem Kosovo, Georgien und Serbien. Viele sind also nicht mit dem lateinischen Alphabet aufgewachsen. Mittlerweile können sie es. „Ich versuche es so zu machen wie meine Englischlehrerin früher“, erzählt Ingrid Rakel. „Die hat von der ersten bis zur letzten Stunde Englisch mit uns
Schülern gesprochen.“ Anders geht es auch nicht. Rakel hat zwar selber mehrere Sprachen gelernt, aber eben nicht die Sprachen der Asylbewerber. Hören und Nachsprechen – das ist ihre Methode. In den ersten Stunden hat sie noch Sonnen und Monde an die Tafel gemalt, um „Guten Morgen“, „Guten Tag“ und „Guten Abend“ verständlich zu machen. „Die Grammatik kommt später. Jetzt geht es ums Wichtigste“, erklärt Ingrid Rakel. Darum, erzählen zu können, wer man ist, woher man kommt, wie man sich fühlt, welchen Beruf man hat. Und es geht ums Sprachgefühl.
Drei ehrenamtliche Lehrerinnen sind es, die die Kinder und ihre Eltern unterrichten. Ingrid Rakel hat den Erwachsenenkurs übernommen – weil sie einfach etwas tun wollte. Jahrelang hat sie an der Volkshochschule Deutsch unterrichtet, Deutsch als Fremdsprache. Auch mit russischen Aussiedlern hat sie schon gearbeitet und einige Jahre beruflich außerhalb der Oberlausitz verbracht. Mittlerweile ist sie in Rente. Die Leidenschaft für Sprachen und fürs Unterrichten ist geblieben. Vielleicht kann man damit die Asylbewerber in ihrem Alltag unterstützen, dachte sich Ingrid Rakel und meldete sich beim DRK. „Da war sie die Richtige im richtigen Moment“, erzählt Ilona Donath. „Wir haben gerade überlegt, wie das mit den Deutschkursen zu machen ist, da klopfte sie an die Tür.“
Vorurteile gegenüber den neuen, ausländischen Mitbewohnern in Weißwasser kann Ingrid Rakel überhaupt nicht nachvollziehen. Sie ist stolz auf ihre Schüler. „Sie geben sich richtig Mühe.“ Ob sie die neue Sprache je wirklich brauchen werden, ist nicht klar. Keiner der Asylbewerber, die aktuell im DRK Deutsch lernen, hat einen positiven Asylbescheid in der Tasche. Einige werden sicherlich
wieder gehen müssen. Bis sie es genau wissen, schwingt die Angst mit. Und das Gefühl der Ohnmacht. „Ich würde so gerne wieder eine Arbeit haben“, sagt Kakhaber. Zu Hause sitzen, das macht ihnen allen zu schaffen. Der Sprachkurs hilft auch, das Warten erträglicher zu machen.
Quelle: Sächsische Zeitung, Ausgabe Weißwasser vom 30.01.2015