Kita-Jubiläum in Weißwasser: 40 Jahre Seite an Seite
Weißwasser. Gudrun Seremet und Ines Möschk arbeiten seit dem ersten Tag in der Kita Sonnenschein. Von Steffen Bistrosch
Vier Jahrzehnte sind eine lange Zeit. Kind sein, Erwachsen werden, selbst Kinder haben, die wieder erwachsen werden und wieder Kinder haben werden… Oder in die Schule gehen, lernen, studieren, in einem Beruf arbeiten, wieder und wieder lernen, das Wissen an Jüngere weitergeben, selbst von den Jüngeren lernen...
40 Jahre gehören Gudrun Seremet und Ines Möschk zum Team des DRK Kinderhauses Sonnenschein. Der gemeinsame Weg begann schon eher. Gemeinsam haben sie in Cottbus studiert. Gudrun stammt aus Weißwasser, Ines aus Trebendorf, die drei Jahre Fachschule in Cottbus haben sie gemeinsam absolviert, die Fahrt aus der jungen, sich vor allem wegen des nahen Kraftwerkes sprunghaft entwickelnden Kreisstadt Weißwasser in die Bezirksstadt Cottbus kostete mit Studentenausweis ganze neunzig Pfennig, erinnert sich Gudrun. Damals war alles anders, erinnern sich beide Erzieherinnen der Kita Sonnenschein in Weißwasser, sie wollen nicht von besser sprechen, aber anders. Die Kinder, die Eltern, die Umstände, die Lehrpläne, sie selbst.
1979, Anfang März, begannen beide hier zu arbeiten. Im Kindergarten „Mischka“. Das Gebäude war fertiggestellt, der Zugang bestand aus einer einzigen Sandwüste, die sich bei Regen in Pampe verwandelte, von befestigten Wegen keine Spur. Die beiden schütteln den Kopf darüber. Blutjung waren sie, neunzehn und zwanzig. Ines schon selbst Mutter. „Damals war das eben so“, sagen beide fast trotzig. Am ersten Tag war alles fremd hier in Weißwasser, das neue Haus, die achtzehn dreijährigen Kinder, für die sie die Verantwortung übernahmen, die Eltern, die ja kaum älter waren als sie. Damals gab es feste Normen und klare Regeln. Für alle. Der Tagesablauf bestand meist aus Frontalangeboten und war in Stein gemeißelt. Ines erinnert sich gut an ihre eigene Kindheit. „Kindergarten in Schleife war nicht so mein Ding“, sagt sie. „Ich war nicht oft da, blieb lieber bei meiner Oma“. Für sie, das artige Mädchen, war das „in der Gruppe Schlafen müssen“ ein „Horror“. Später nach der Schule wollte sie unbedingt etwas mit Tieren machen. Ihre liebe Mutti hat ihr aber den Kuhstall im Dorf gezeigt. Genau dort werde sie anfangen müssen, nicht in einem Tierpark. Aus dem „Vielleicht lieber ins Büro“-Job wurde eine Erzieherinnenausbildung. Gudrun dagegen war oft und lange im Kindergarten „Arnold Zweig“, ein ehrwürdiges Gemäuer, welches einst dem früheren Fabrikanten August Schweig gehört hatte und an der Ecke Saschowawiese stand. Sie weiß nicht mehr viel aus jener Zeit, erinnert sich an Bausteine, die Puppenecke und einen Swimmingpool. Und vor allem daran, was sie seither nicht mehr tut: Weißkrauteintopf essen.
Ihren Berufswunsch bereut haben beide bisher keine Sekunde lang. Die Zeit der Wende haben sie als befreiend empfunden, Ines schätzt die Freiheit zu reisen über alles. Beide damals jungen Mütter können sich bestens an das „Schlange stehen“ entsinnen. Egal, was es gab. Erstmal anstellen. Um nach ewiger Warterei dann an der Kasse hören zu bekommen, „Ines, dein Mann war schon hier. Du kriegst keine Bananen mehr“. Heute können sie drüber lachen. Oder Handarbeiten. Die Muster wurden untereinander ausgetauscht, sogar in der Mittagspause in der Kita gewerkelt. Sie sagen, nicht alles war schlecht in der DDR. Zurück wollen sie die alte Zeit keinesfalls haben. Die Wende haben sie ohne Ängste erleben dürfen, genügend Kinder zur Betreuung gab es glücklicherweise. Um die Sozialauswahl zu überstehen, zählte ein Punktesystem. Sie hatten ausreichend auf der Habenseite, um über dem Strich zu bleiben, der das Aus bedeutete. Andere hatten dieses Glück nicht, sie erinnern sich gemeinsam an Namen, an Schicksale. Nach vierzig Jahren sind sie die beiden letzten vom Stammpersonal der ersten Tage.
Trotzdem oder gerade deswegen treffen sie sich heute noch regelmäßig mit den alten Kolleginnen, dem technischen Personal und sogar den Hilfskräften von damals. Einmal im Jahr, irgendwo. „Das ist schön“, meinen sie. Das VdK übernahm 1994 schließlich das Objekt mit den Mitarbeitern von der Stadt, seit 2003 ist das DRK Träger. Dafür sind sie dankbar. Es läuft, sie müssen sich keine Gedanken über ihre Zukunft machen. Mit dem neuen System mussten sie sich in ihrem angestammten Beruf qualifizieren, das sächsische Curriculum ablegen und seitdem hat das Lernen, beispielsweise wegen der nötigen Computerkenntnisse für die Portfoliohefter der Kinder, nicht mehr aufgehört. „Das ist heute eben so“, sagen sie. Andere haben den Heilerziehungspfleger gemacht und konnten erst Jahre später wieder in ihren Beruf einsteigen. Oder nie wieder. Das blieb ihnen erspart.
Und in Zukunft? Gudrun sagt: „Gesundheit, sonst nichts.“ Ines denkt an ihr Dorf. Der Tagebau frisst sich nicht durch Trebendorf und Schleife. Die Eltern von Ines können ihren Lebensabend im alten Haus verbringen. Dafür wird in absehbarer Zeit Schluss mit der Kohle sein. Das ist gut und schlecht zugleich. Gudrun und Ines erinnern sich an Gruppenausflüge zum Jagdschloss, dass der Bergbau in Anspruch genommen hatte. Um den dicksten Baum mit Händen zu umfassen, brauchten sie elf Kinder. Deren Eltern arbeiteten wiederum oft im Kraftwerk oder Tagebau. Zwiespalt. Das Leben wird weitergehen. So oder so. Das der verkündete Strukturwandel wieder ein Bruch wird, der diesmal auch ihre Familie erfassen könnte, davor haben sie beide Angst. Nicht um sich selbst.
Im Berufsleben wollen sie auf Sicht fahren. Wenn es nicht mehr geht, ist eben Schluss. Die Zeit ist so schnelllebig geworden, hektisch, teils oberflächlich. Die Arbeit ist anspruchsvoll, sie arbeiten gern hier, das Team der Kita funktioniert gut. Beide sind bisher nie auf die Idee gekommen, woanders hinzugehen. Das wird auch so bleiben. Bis zum Schluss.
Quelle: Lausitzer Rundschau, Ausgabe Weißwasser vom 10.05.2019