"Schulden enden oft als menschliche Tragödie"
von Gabi Nitsche
Weißwasser Katharina Krall (57) kann niemand ein X für ein U vormachen. 24 Jahre sind es in diesem Monat, in denen sie tagtäglich mit den Geldsorgen fremder Menschen zu tun hat.
"Ich denke, ich hab alles erlebt, aber es gibt immer wieder etwas Neues." Die Weißwasseranerin kann ein trauriges Lied singen von menschlichen Tragödien, wie sehr Schulden die Seele belasten, Beziehungen kaputt gehen, weil der Schuldenberg hoch und höher wird. "Ich versuche, den Leuten die Schuldgefühle und die Ängste zu nehmen. Denn es gibt viele, die nicht aus Leichtfertigkeit in diese Situation geraten sind." Alle Altersgruppen, von 19 bis 70, sind unter den Hilfesuchenden.
Bei Jüngeren sind es meist im Internet vorgenommene Bestellungen, hauptsächlich Handy-Verträge. "Da wird für Smartphones für nur einen Euro geworben, aber dann hängt ein ‚toller' Vertrag dran. Und ruckzuck geht's ins Inkasso, werden aus 20 schnell 80 Euro, eine Mahnung jagt die andere." Der neueste "Schrei" sei, Hundefutter per Internet zu bestellen und dann nicht zu bezahlen.
"Du kannst von zu Hause alles kaufen, aber dann verlierst du den Überblick. Das ist eben die Verlockung mit dem Klick. Du kannst dir die Welt ins Wohnzimmer holen. Und wer sich dem nicht entziehen kann, ist dann Kunde in der Schuldnerberatung", so Katharina Krall. Gegen Kauf auf Raten sei grundsätzlich nichts einzuwenden. Aber man muss auch seinen Verpflichtungen nachkommen und vorher überlegen, ob das eigene Budget das überhaupt ermöglicht.
Die Älteren plagen häufig gescheiterte Finanzierungen. "Wenn einer krank wird, und der andere verliert seine Arbeit, lässt sich das Haus oft nicht mehr halten, ist der Traum vom Eigenheim ausgeträumt." Die Beraterin weiß nur zu gut: "Sich das eingestehen zu müssen, das fällt den Leuten sehr, sehr schwer." Die Menschen brauchen eine neue Sichtweise. Katharina Krall hilft diesen auf dem Weg dahin. "Es ist wichtig, mal selbst auf sein Leben zu gucken und über Alternativen nachzudenken. Zum Beispiel, ob mit dem Umzug in eine Wohnung große Probleme viel kleiner werden können."
Es komme immer wieder vor, dass sich eine Oma irgendetwas aufschwatzen lässt und dafür aber gar nicht die Rente reicht. Katharina Krall warnt auch davor, sich auf Kredite im Internet einzulassen, ohne vorher genau zu prüfen, was auf einen zukommt. Sie nennt ein Beispiel: "Ein Rentnerpärchen wollte nur für ein Auto 10 000 Euro. Jetzt müssen sie 27 000 Euro an die Bank zahlen." Ganz schlimm komme es, wenn sich der Ehepartner davonmacht. "Die Witwenrente ist pfändbar." Die Schuldnerberaterin könne nur empfehlen, sich rechtzeitig an sie oder Kollegen zu wenden und nicht aus Scham zu lange zu warten. "Sie sitzen dann wie ein Häufchen Elend hier, haben ihr Leben lang gearbeitet und nun diese Schulden."
Im vergangenen Jahr waren es 119 neue Fälle, um die sich Katharina Krall über einen längeren Zeitraum kümmert, und 120 einmalige. "Aber im Bestand hab ich über 100 Fälle, wo die Schuldner teilweise schon seit zehn Jahren in die Beratung kommen." Denn leider würden einige Menschen aus Schaden nicht klug werden, und zu alten Schulden, die sie gerade abstottern, kämen neue. "Eine Frau, Hartz-IV-Empängerin, war gerade ihre Schulden los, da ließ sie sich ein Tablet mit Vertrag aufschwatzen. 800 Euro. Nun geht alles von vorne los." Die Schuldnerberaterin ist überzeugt, dass die Frau noch eine lange Zeit ihre Begleitung benötigt. Denn bei 20 Euro Rate in jedem Monat braucht es seine Zeit.
Vor Kurzem kam eine Frau in die Sprechstunde, die sich am Telefon zum Kauf von Technik belatschern ließ. "Dann konnte sie ihre Stromrechnung nicht bezahlen, kam zu mir und sagte, die Frau am Telefon hatte doch sooooo eine freundliche Stimme."
Wenn die Rat- und Hilfesuchenden die Schuldnerberatung verlassen, geht es für Katharina Krall erst so richtig los. Sie setzt sich mit den Gläubigern auseinander, handelt Vergleiche aus, arbeitet Zahlungspläne aus und, und, und. Sie zeigt auf einen dicken Aktenordner. "Das sind die Unterlagen von einem einzigen Schuldner." Nicht selten wendet sich die Beraterin an Stiftungen und bittet, Menschen in besonderen Notsituationen sofort zu helfen. Zum Beispiel, wenn die Rechnungen für Strom, Heizung und Wasser nicht bezahlt wurden, die Wohnung kalt ist und dringend Heizmaterial benötigt wird.
Manches Mal hat auch jemand nur Pech. Katharina Krall erzählt: "Ein Mann hatte endlich wieder Arbeit, verdient gutes Geld, kann jeden Monat 200 Euro Schulden abtragen. Dann wird er auf der Autobahn auf dem Weg zur Arbeit geblitzt. 125 Euro kostet das. Dann kann eben der Gläubiger nur 75 Euro in dem Monat bekommen . . ."
Von den 119 neuen Fällen im vergangenen Jahr hat die Beraterin 32 bereits abgeschlossen. "Die Leute sind nicht schuldenfrei dadurch, aber sie haben das Abzahlen im Griff." Es gebe auch immer wieder welche, die es gänzlich aus den Schulden schaffen. Meist dann, wenn sie in die Privatinsolvenz gegangen sind. "Über diesen Weg schaffen es Vermögenslose und Vermögende", so die Erfahrung der Beraterin.
Zum Thema:
Seit 1993 ist der DRK-Kreisverband Weißwasser Träger einer anerkannten Schuldnerberatungsstelle. Sprechzeit in Weißwasser, Bodelschwinghstraße 15 (Sparkasse): dienstags 9 bis 12 und 13 bis 18 Uhr, donnerstags 13 bis 16 und freitags 9 bis 12 Uhr, Telefon 03576 247055. Außenstelle Niesky, Zinzendorfplatz 14, 3. Obergeschoss: montags 9 bis 12, 13 bis 15 Uhr; jeden ersten Donnerstag im Monat 9 bis 12 Uhr. Telefon: 03588 2223983. Aufgrund der großen Nachfrage erfolgt die Beratung überwiegend nach vorheriger Terminvereinbarung. Die Wartezeit beträgt drei bis vier Wochen. Menschen mit Geld- und Zahlungssorgen kommen aus der Stadt und den Dörfern. Die sich an die DRK-Beratungsstelle wenden, leben zu je 40 Prozent in Weißwasser und Niesky, zu 20 Prozent in den Gemeinden. Privatinsolvenz ging erst über sieben Jahre, dann über sechs. Jetzt können schon fünf oder sogar drei Jahre Wohlverhalten ausreichend sein – je nach privater Situation.
Quelle: Lausitzer Rundschau, Ausgabe Weißwasser vom 29.03.2017