SZ: Auf gute Nachbarschaft
In Weißwasser laden Flüchtlinge zu einem fröhlichen Dankeschönessen – mit einem weinenden Auge.
Jarah Majid hat Mendi gekocht. Gern erklärt der junge Syrer, wie er den Reis zubereitet, mit Kurkuma und Curry gewürzt und über offener Flamme geräuchert hat. Wenn die Worte fehlen, muss Moustapha Allam einspringen. Er ist schon länger in Deutschland und wechselt fließend zwischen Deutsch und Arabisch hin und her.
„Probieren Sie, probieren Sie!“ Jarahs Aufforderung auf Englisch duldet kein Nein.
Alle Achtung, nicht nur sein Mendi ist ein Gedicht, von dem eine Strophe definitiv nicht genug ist. Jarah hat auch drei verschiedene Nachspeisen, eine köstlicher als die andere, zubereitet. Und doch ist er kein Koch. In Syrien hat er sein Geld als Klempner verdient. Auch keiner der anderen Männer und keine der Frauen, die für ihre neuen Nachbarn an diesem Tag am Herd standen, hat Kochen professionell gelernt.
Da ist Mahmut. Von ihm stammt das Malube, ein Gericht aus Reis, Rindfleisch und Auberginen. Eigentlich ist er Friseur. Reber hat Jura studiert. Samer ist Dekorateur und hat als Schuhverkäufer gearbeitet. Er ist ein kreativer Kopf. Er bereichert das Fest mit einigen seiner Bilder, die er einfach auf Stühle gestellt hat. Oberbürgermeister Torsten Pötzsch bekommt eines davon verehrt, bevor er geht. Oder hat er dafür bezahlt? Was Chaled – er ist knapp 62 und mit Abstand der Älteste – gelernt hat, spielt spätestens dann keine Rolle mehr, als er zu den Klängen eines Tamburs, einer Art Mandoline, zu tanzen beginnt.Zwanzig syrische Flüchtlinge wohnen in dem Haus in der Nähe des Weißwasseraner Marktplatzes. In jeder Wohnung fünf, erklärt Ilona Donath. Sie betreut für das Deutsche Rote Kreuz bisher 107 Flüchtlinge. Am diesem Mittwoch kommen die nächsten. Bis zu 250 sollen es laut Prognose des Landratsamtes werden. Viel zu tun für Ilona Donath. Die Mitfünfzigerin spricht weder Arabisch noch Englisch und könnte die Mutter der jungen Männer sein. Das und ihr zupackendes Wesen verschaffen ihr Autorität. Wenn es sein muss, wird sie auch mal energisch. Zur Not ist Moustapha da, um zu übersetzen. Meistens jedenfalls. Bürgerpolizist Thomas Hanzig bedient sich an der reichlich gedeckten Tafel. Ganz in der Nähe genießt Rica David das Szenario. Auf dem Schoß balanciert sie einen Teller und lächelt. Sie wohnt erst seit Juli in dem Haus. Abgesehen von ihrer Tochter und Nachbarin Renate Nerlich ist sie die einzige Deutsche im Haus. „Wir hatten anfangs Bedenken, als es hieß, Flüchtlinge sollen hier einziehen“, erzählt sie. Bedenken? „Einfach Angst vor dem Unbekannten.“Zuerst zieht eine syrische Familie ein. Aber dann kommen nur noch Alleinstehende, vor allem junge Männer. Die Bedenken werden größer. Was in dieser Situation hilft, ist die Erkenntnis, dass auch die neuen Nachbarn nicht wissen, wie sie den Deutschen begegnen sollen. Auch sie sind verunsichert. In die Augen gucken oder wegsehen? Laut grüßen oder einfach nur nicken? Und wenn grüßen, in welcher Sprache? Was sagen? Noch immer regieren Vorsicht und ein gesundes Misstrauen. Auf beiden Seiten, das ist zu spüren. Aber das Eis ist längst gebrochen. Der kleine Sohn der Familie stand öfter am Fenster. Als Davids anfingen zu winken, winkte er zurück. So einfach kann Kommunikation sein.
Das Wohnhaus gehört Horst Mäder. „Ich war in der kurzen Zeit schon zweimal hier und habe gefragt, ob irgendetwas fehlt.“ Alles sei in Ordnung, erhielt der Taxiunternehmer und Ex-Stadtrat jedes Mal zur Antwort. Und dann gibt es doch eine Lücke. Der Junge hat kein Spielzeug. Mäder wird ihn am nächsten Tag abholen und mit ihm einen Spielzeugladen besuchen.
Samer, der Künstler, der geschmackvoller gekleidet ist als ich, steht bei seinen Bildern. Ein Jahr hat der 40-Jährige bis nach Deutschland gebraucht. Seine Frau und die drei Kinder sind in Syrien geblieben. Ist das zu direkt, wenn ich frage, wie sich das anfühlt? „Das ist jetzt nicht Ihr Ernst!“, sagt er ungläubig in
fließendem Englisch. Dann füllen sich seine Augen mit Wasser. Gerade hat er noch gelächelt. Nun ringt er um Fassung. Als er wieder sprechen kann, sagt er stockend: „Sie sehen hier fröhliche Menschen und lachende Gesichter.“ Dann klopft er sich leicht auf die Brust. „Aber wie es hier drinnen aussieht, weiß
niemand.“
Quelle: Sächsische Zeitung, Ausgabe Weißwasser vom 30.09.2015