"Uns ist Weihnachten schon bekannt"
LR: Samer Bouzaljide und Reber Jojan fühlen sich in Weißwasser wohl und wollen bleiben
Weißwasser hat zwei Neubürger: Sie sind jedoch keine Rückkehrer, sondern flüchteten vor dem Krieg in Syrien. Samer Bouzaljide und Reber Jojan haben eine monatelange Odyssee hinter sich. Nun feiern sie ihr erstes Weihnachtsfest in Europa – und zwar in Weißwasser.
Reber Jojan stammt aus dem Nordosten von Syrien. Vor mehr als einem Jahr hat sich der Kurde auf den Weg nach Europa gemacht und dabei mehr als sechs Länder durchquert. Sein Jura-Studium in Aleppo konnte er aufgrund des Krieges nicht mehr beenden. "Ich war einen Monat lang zu Fuß und per Anhalter unterwegs", erinnert sich Reber Jojan. In Mazedonien war er zusammen mit anderen Flüchtlingen über zehn Tage im Wald umhergeirrt, gelang von Serbien über Ungarn nach Deutschland.
Die Familie von Reber Jojan ist schon seit mehr als einem Jahr getrennt. Seine Brüder und Schwestern leben in der Türkei, in Syrien und im Libanon, während die Eltern noch in seiner Heimatstadt ausharren. "Es geht ihnen gut", erzählt er. Manchmal gebe es in Aleppo noch Netz, sodass er mit den Eltern telefonieren kann. "Es ist eine einzige Katastrophe, wie sie dort leben müssen", sagt Reber. Wasser- und Stromversorgung sind schon vor Monaten zusammengebrochen, selten gebe es genügend zu essen. "Und jeden Tag müssen sie mit der Angst leben, durch Bomben und Gewehrkugeln zu sterben", ist er sich sicher. Was aus seiner Heimat wird, vermag Reber Jojan nicht zu erahnen. Er könne sich nicht vorstellen, was nach dem Krieg einmal aus Syrien werden soll. "Ich wünsche mir, dass ich eines Tages zurückkehren kann und Frieden ist", schildert er seine Hoffnung.
Über das Wasser
Samer Bouzaljide kommt aus der syrischen Hauptstadt Damaskus. Mehr als fünf Monate hat er in der Türkei gearbeitet, um das Geld für die Reise nach Europa zusammenzuhaben. "Ich habe mich auf die gefährliche Überfahrt nach Griechenland eingelassen", erzählt er, "und bin dann über Madrid und Frankreich nach Deutschland geflogen." Seine Frau und seine Kinder musste er in Syrien zurücklassen. "Meine Frau hat inzwischen zur deutschen Botschaft im Libanon Kontakt aufgenommen", erklärt Samer. Er hofft, sie bald in die Arme schließen zu können. Traurig sei er nun, weil seine drei Kinder nicht bei ihm sein können. "Es war einfach zu gefährlich, sie mit aufs Boot zu nehmen", beschreibt er seine damalige Entscheidung. Kontakt über das Telefon komme aufgrund der zerstörten Infrastruktur in Syrien nur selten zustande. "Aber es geht ihnen gut", sagt er.
Auch Samer Bouzaljide zieht es nicht in eine deutsche Großstadt. In Weißwasser habe er so viele nette Menschen kennengelernt, die ihn unterstützen und ihm ihre Hilfe anbieten. So konnte der Künstler auch schon einige Ausstellungen initiieren. "Ich male leidenschaftlich gern und habe in Boxberg, Sagar und Görlitz meine Bilder ausgestellt", erzählt der Syrer. Sie zeigen Menschen in seinem Umfeld, Flüchtlinge und Einheimische.
Weihnachten ist nichts Fremdes
"Uns ist Weihnachten schon bekannt", erklärt Reber Jojan. Auch in Syrien sei der 24. Dezember ein Feiertag – allerdings wird dort die Geburt eines Propheten und Gesandten Gottes gefeiert – und eben nicht Weihnachten mit Tannenbaum, Geschenken und einem Mann im roten Mantel mit Rauschebart. Jesus – im Islam als "Isa" bezeichnet – steht bei den Muslimen in einer Reihe mit Noah, Abraham, Moses und Mohammed. "Das ist für uns ein Feiertag – der Geburtstag von Jesus", klärt Samer auf.
Einen Weihnachtsbaum haben die beiden Flüchtlinge jedoch nicht – dafür wollen sie am ersten Weihnachtsfeiertag zusammen im Korczakhaus sitzen. Dort treffen sie andere Flüchtlinge und ihre Patenfamilien. "Ich bleibe in Weißwasser und werde viel mit Freunden die Feiertage verbringen", sagt Reber.
Beide fühlen sich inzwischen heimisch in der Glasmacherstadt und sehen auch, dass die Stadt mit so mancher Schwierigkeit zu kämpfen hat. "Ich verstehe nicht, warum so viele junge Menschen nach Westen ziehen", sagt Samer. Beide wollen mithelfen, Weißwasser noch lebenswerter zu machen. Samer Bouzaljide kann sich vorstellen, vielleicht ein Geschäft oder eine Gaststätte zu eröffnen, in der es Besonderes und Leckers aus Syrien gibt. Reber dagegen möchte eine Ausbildung machen. "Aber zu allererst müssen wir richtig Deutsch lernen", sind sich beide einig. Auf Feindseligkeiten sind sie dagegen in Weißwasser kaum gestoßen. "Ich denke, wenn ich freundlich bin, dann ist man auch zu mir freundlich", beschreibt Samer seine Denkweise.
Zum Thema:
Seit dem Kriegsausbruch in Syrien 2011 bis zum Oktober 2015 sind laut syrischem Netzwerk für Menschenrechte etwa 180 000 Zivilisten durch Kräfte des Regimes getötet worden. Laut UN-Angaben sind vor dem Krieg fast 4,4 Millionen Menschen geflohen. Hinzu kommen etwa 6,5 Millionen Binnenflüchtlinge. Von den 21 Millionen Syrern sind 90 Prozent Araber, während sieben Prozent Kurden und drei Prozent Armenier ausmachen. 90 Prozent der Syrer bekennen sich zum Islam, der sich nach dem Tod von Mohammed in zwei große Strömungen aufspaltete: Sunniten und Schiiten. Dreiviertel der syrischen Muslime sind Sunniten, sechs Prozent Alawiten, die sich von den Schiiten abgespalten haben. Den Rest machen Schiiten und Drusen aus.
Quelle: Lausitzer Rundschau, Ausgabe Weißwasser vom 24.12.2015