Auch für Bedürftige bleiben die Türen zu
Mit dem Lockdown musste der Sozialmarkt in Weißwasser schließen. Nur in dringendsten Fällen kann geholfen werden. Von Constanze Knappe
Wer jetzt eine warme Winterjacke oder eine Waschmaschine benötigt, hat wegen des Lockdowns Pech gehabt. Es sei denn, er oder sie kümmert sich im Internet. Weit schlechter dran sind die Menschen,
die sich als Hartz IV-Empfänger oder mit einer kleinen Rente eine Online-Bestellung nicht leisten können. Eigentlich würden sie zum Sozialmarkt in Weißwasser gehen. Doch dieser hat – wie die meisten Geschäfte – seit 14. Dezember geschlossen.
Nur in Notfällen gibt es etwas
Nur in ganz dringenden Fällen öffnet sich die Tür – aber auch nur zu einem vorher vereinbarten individuellen Termin, erklärt der Leiter Hartmut Schulz. Etwa, wenn das Sozialamt jemanden schickt, oder Klienten eines Betreuers ihre Wohnung räumen mussten. Mitunter ruft das Krankenhaus an, wenn bei einem Schwerverletzten, der keine Angehörigen hat, die Kleidung zerschnitten werden musste. Oder die Polizei hat jemanden aufgegriffen, der dringend ein Kleidungsstück braucht. Dann packt Hartmut Schulz ein paar Sachen zusammen und schafft sie hin. Manchmal, so sagt er, ruft auch eine Kita-Leiterin an. Wenn ein Kind keine jahreszeitgemäße Kleidung anhat – auch dann hilft er. In Notfällen zählt nur die Größe, Auswählen und Anprobieren ist derzeit nicht drin.
Berechtigungskarte vonnöten
Seit 1990 betreibt der DRK-Kreisverband Weißwasser einen Sozialmarkt in der Stadt. Seit mehr als zehn Jahren befindet sich dieser am Prof.-Wagenfeld-Ring. „Um dort für einen geringen Obolus einkaufen zu können, braucht man eine Berechtigungskarte“, erklärt Vorstandsvorsitzende Barbara Koschkar. Die Bescheinigung dafür bekommt man in der DRK-Geschäftsstelle auf der Berliner Straße – unter Vorlage des Hartz-IV- oder des Rentenbescheids. Bedürftige im Alter von 18 bis 80 Jahre, die auf den Sozialmarkt angewiesen sind, kommen längst nicht mehr nur aus der Stadt und dem direkten Umland. Dass die Kleiderkammer in Niesky geschlossen wurde – auch das war in dem Laden in Weißwasser deutlich zu spüren. An die 50 Leute täglich schauen sich sonst im Sozialkaufhaus nach dem Nötigsten für kleines Geld um. Für drei Euro kann man eine Winterjacke mitnehmen, ein Bett gibt es je nach Größe und Beschaffenheit für 80 Euro. Venner bei Möbeln sind Küchen,
Waschmaschinen, Kühlschränke, auch einzelne Spülen. Dahinter steckt ein großer Aufwand. Hartmut Schulz fährt zu dem Anbieter hin und entscheidet, ob Bedarf besteht. Dann müssen mehrere Leute mit,
um Schrankwand, Kleiderschrank oder Bett vor Ort ab- und im Sozialmarkt wieder aufzubauen. Doch damit nicht genug. Wenn vom Kunden gewünscht, wird das Teil nochmals zerlegt, nach Hause geliefert
und erneut aufgebaut. Die Möbel werden gereinigt und kleine Reparaturen ausgeführt. Hin und wieder ist sogar eine ganze Wohnung zu beräumen. Derzeit sind zwölf Frauen und Männer, zumeist immittleren Alter, im Sozialmarkt beschäftigt, unter ihnen auch Bundesfreiwilligendienstler (Bufdis) und Ehrenamtler. Lediglich der Leiter und der Fahrer sind fest angestellt. Ein-Euro-Jobber dürfen ein halbes Jahr bleiben, die Maßnahme kann aber auch verlängert werden. „Wir sind schon bestrebt, dass wir die Leute, mit denen wir gute Erfahrungen gemacht haben, auch wieder kriegen“, sagt Hartmut Schulz. „Wer richtig gut ist, darf danach bis zu anderthalb Jahren als Bufdi bleiben“, ergänzt Barbara Koschkar
Ein-Euro-Jobs gestrichen
Auf die Schließung des Sozialmarkts hat das Jobcenter reagiert – und mit sofortiger Wirkung die Maßnahmen mit Aufwandsentschädigung, wie sie offiziell heißen gestrichen. Damit muss ein Teil der Ein-Euro- Jobber zu Hause bleiben. Jede Woche rufen sie bei Hartmut Schulz an, wann es denn wieder losgeht. Doch eine für sie zufriedenstellende Antwort hat er nicht parat. Er und Barbara Koschkar wissen, den meisten Ein-Euro-Jobbern liegt viel an der Beschäftigung. Sie kommen unter Leute, haben einen strukturierten Tagesablauf. Hartmut Schulz fehlen sie. „Weil ja trotzdem Container zu entleeren und Altkleidung zu sortieren sind“, begründet er.
Im Altkreis Weißwasser betreibt das DRK 65 Altkleidercontainer, die nach einem festen Tourenplan angefahren werden. „Früher hatten auch private Unternehmen etliche Container aufgestellt. Sie zogen sich zurück, weil der Altkleidermarkt zusammengebrochen ist“, erklärt Barbara Koschkar. Der DRK-Kreisverband dagegen hält an den Containern fest. Ein Teil der Bekleidung
geht in den Sozialmarkt zur Weitergabe an Bedürftige, der andere Teil an Verwertungsfirmen. Mit dem Erlös aus letzterer Verwendung werden Miete, Energie, Heizung, das Fahrzeug und die Personalkosten für die beiden Festangestellten des Sozialmarkts finanziert.
Kleidercontainer keine Mülltonne
Dass jetzt offenbar vielmehr Leute Zeit haben, ihre Kleiderschränke auszusortieren, hat Barbara Koschkar festgestellt. Aus Sicht der Bedürftigen ist das erfreulich. Die Kehrseite der Medaille aber ist, dass Dinge in den Altkleidercontainern landen, die da ganz und gar nicht reingehören: benutzte Windeln, Bratpfannen mit verbranntem oder verschimmeltem Inhalt, jeglicher Hausmüll ... Hartmut Schulz hat noch viel mehr Beispiele parat. Abgesehen davon, dass es für seine Leute beim Sortieren einfach eklig ist, wird die Bekleidung drumherum damit unbrauchbar und muss kostenpflichtig entsorgt werden. Das aber hilft niemandem. Mit Aushängen an den Containern hat das DRK mehrfach darauf hingewiesen. Im schlimmsten Fall bleibe nur ein Standortwechsel des Containers. Barbara Koschkar und Hartmut Schulz wünschen sich, dassmehr Menschen überlegen, was sie in die Container werfen, und vor allem, dass der Sozialmarkt bald wieder öffnen darf. Damit sind sie nicht allein.
Quelle: Sächsische Zeitung, Ausgabe Weißwasser vom 03.02.2021