Bei der Kleiderspende fährt der Ekel mit
Ein Tag beim DRK Weißwasser
Weißwasser. Ein Tag mit den Kleidersammlern des DRK in Weißwasser: Was Ehrenamtler in den Kleider-Containern vorfinden, spottet zum Teil jeder Beschreibung. Von Steffen Bistrosch
Papier, Pappe, Plastikverpackungen, Elektroschrott, Holz- und Plastikspielzeug, Plüschtiere, Speisereste, Keramik, Glas, Radio- und Videokassetten, Kosmetikartikel, Möbelstücke, „gelbe Säcke“, Kleiderbügel, Ostereier, Weihnachtsdekoration, Fußabtreter und sogar ganze Reisetaschen bis zum Reißverschluss sorgfältig mit Müll gefüllt. „Wenigstens waren heute keine gebrauchten Spritzen dabei“, sagt Matthias. „Oder Messer. Wenn du Pech hast, helfen die Handschuhe auch nicht.“ Obwohl sie inzwischen nur noch schnittsichere vom Chef kriegen. Manchmal findet der Ehrenamtler auch benutzte Pampers sowie Lebensmittel, „aus denen die Maden in Massen rauskommen.“ Tote Tiere wie beispielweise Katzen sind schon den Sammelboxen gefunden worden.
Keine Entrümpelung, sondern Alltag bei der Kleiderspende
Wer glaubt, es handele sich dabei um das Entrümpelungsszenario bei dem Wohnungswechsel eines „Messies“, der irrt. Das und noch viel mehr finden Mitarbeiter des DRK Weißwasser in ihren Kleidercontainern. Bewusst entsorgt von Leuten, die den Weg zum Müllplatz nicht auf sich nehmen. Keine Einzelfälle, wie Hartmut Schulz, Leiter der Sozialmärkte in Weißwasser und Bad Muskau erläutert.
Sein fünfundzwanzigköpfiges Team leert, sortiert oder entsorgt den Inhalt von insgesamt fünfundsechzig Kleidercontainer im Altkreis Weißwasser. Bedürftige können sich benötigte Dinge oder Sachen selbst im Markt abholen kommen. Männer wie Matthias und Alex fahren die ganze Woche entsprechend des festgelegten Tourenplans die roten DRK Container ab. Ganze drei hauptamtliche Kräfte sind im Sozialmarkt angestellt, der Rest sind Ehrenamtliche Mitarbeiter, Ein Eurojobber oder „Bufdis“. Einer wurde vom Gericht zu Sozialstunden verdonnert, die er hier ableisten muss.
Täglich kurz vor acht Uhr geht es los
Kurz vor acht Uhr morgens geht es mit Alex und Matthias in den Transporter. Der dritte Mann, der sonst mitfährt, hat sich krankgemeldet. Im Radio plärrt PSR, die Männer sehen mich nur kurz an und schweigen. Warum geht Matthias freiwillig beim DRK auf Tour? „Weil das Spaß macht“, antwortet der schlanke Mann mit den vielen Tattoos. Seit drei Jahren fährt er die Touren mit. Ein Kumpel habe ihn damals mitgenommen. Inzwischen ist er der einzige von seinen Kumpels, der noch dabei ist.
Matthias ist wortkarg. In seinem Leben ist es nicht so gut gelaufen, seitdem er 1995 in Berlin bei einem Eishockeyspiel von der Zuschauertribüne gestürzt ist und sich dabei schwer am Kopf verletzt hat. Epileptische Anfälle sind davon zurückgeblieben. Seine Lehre hat er deswegen nicht fertig machen können, einige Tage vor der Prüfung sei das Unglück passiert. Zum Eishockey geht er jetzt nicht mehr, das sei zu teuer. Aber Sprade TV guckt er mit den Kumpels, das geht in Ordnung, das Geld dafür teilen sie sich. Viel mehr erzählt er nicht aus seinem Leben, das deutlich Spuren an ihm hinterlassen hat.
Aber jeden Morgen um halb acht steht er auf der Matte am Sozialmarkt und macht seinen Job, sagt er. Alex sitzt am Steuer. Er lächelt viel und spricht mit Akzent. Zwanzig Jahre ist es her, da kam er aus Kasachstan hierher, seine Vorfahren waren Wolgadeutsche. Er hat früher auf dem Bau gearbeitet, im Wald, in der Landwirtschaft. Egal wo und wieviel gearbeitet wurde, es blieb dort nie etwas drüber. Dann haben sie mit der Frau den Antrag gestellt, drei Jahre gewartet und auf ein besseres Leben gehofft.
Die Hoffnungen haben sich nicht unbedingt erfüllt, übrig bleibt immer noch nichts. Alle ehrenamtlichen Helfer beim DRK erhalten eine Aufwandsentschädigung von einhundertzwanzig Euro im Monat, dafür arbeiten sie fünf Stunden täglich an fünf Tagen die Woche.
Im Sozialmarkt des DRK Weißwasser wird sortiert
Alex’ Frau sortiert die Sachen im Sozialmarkt. „Es ist okay“, sagt er, „und besser als zu Hause zu sitzen“. Um seine Gesundheit ist es nicht bestens bestellt. Er braucht einen Herzschrittmacher und Medikamente. Beim DRK arbeitet er „wirklich gerne“.
Alex hält am Prof.-Wagenfeld-Ring in Weißwasser. Matthias öffnet den Container: Ein Wust aus Beuteln. Es riecht streng. Handschuhe an und los. Matthias verstaut die Säcke im Transporter, Alex kniet auf dem Boden und sammelt den losen Inhalt des Containers in mitgebrachte Müllbeutel. Etwa zwei Drittel sind ordentlich in Säcken gepackt. Der Rest ist ein unbeschreibliches Sammelsurium. Lose in den Container geworfene Kleidung wird dadurch unbrauchbar. Die Profis Matthias und Alex schütteln den Kopf und sortieren den ersten Müll aus.
Die Tour führt weiter zum Freizeitpark, der Boxberger Straße, der Kraftwerkerstraße, der Hertz-, Liebknecht-, Krummen-, Damaschkestraße. Manchmal ist es um den Inhalt der Container besser bestellt, manchmal schlechter. Richtig gut ist es nie. Matthias quetscht die letzten Müllsäcke mit Krafteinsatz unter das Dach des Transporters. Jetzt heißt es schnell ausladen, um noch eine Fuhre bis Mittag zu schaffen.
An der Laderampe wird ein LKW bepackt. Unzählige durchsichtige Plastiksäcken mit einem rotes Kreuz drauf. Drei solcher fünfzig Kubikmeter fassenden Container gehen durchschnittlich jeden Monat nach Wolfen zur Weiterverarbeitung. Alles Klamotten, die sich hier nicht an den Mann oder die Frau bringen lassen. Jeanette ist „Bufdi“ im Verkaufsraum. Die freundliche fünffache Mutter meint, das DRK sei für sie die beste Möglichkeit, um überhaupt einer Arbeit nachgehen zu können. Sie mag den Job und das gute Verhältnis der Kollegen untereinander. Jeanette kennt die Arbeit im Sortierraum und nennt es eine echte Schweinerei, das Spenden für Bedürftige durch Müll oder Abfällen unbrauchbar werden. Sie meint, dass die Leute drüber nachdenken sollten, welchen Zweck die Container haben.
Einmal die Spender dazu bringen, selbst zu sortieren
Im Sortierraum stehen Ivonne, Renate und Angelika hinter langen Tischen, auf denen die Säcke ausgekippt werden. Sie reden miteinander, machen Späßchen. Ivonne ist ehrenamtlich dabei, mit ihren zwei kleinen Kindern sei es nicht einfach, etwas Vernünftiges zu bekommen. Die junge Frau mit dem blau gefärbten Haar lacht freundlich. „Besser als zu Hause zu sitzen“. „Hier“, sagt Renate, die am Tisch dahintersteht. Sie zeigt auf den Inhalt des Beutels, der vor ihr liegt. „Was es für feine Leute gibt“, sagt sie. Stinkenden Müll zwischen den Sachen nennt sie abartig. „Die Leute müssten sich selbst hinstellen, um zu sehen, wie eklig sich das anfühlt.“ Sie hat ein Herpesbläschen an der Lippe. „Kommt davon.“
Angelika, Ein-Euro-Jobberin wie Renate, pflichtet ihr bei. „Wir sind froh hier zu arbeiten, aber…“ Der Satz bleibt unausgesprochen. Jemand ruft laut „Renate Granate“. Die Frauen lachen fröhlich. Im Verkaufsraum sehen sich ein paar Kunden um. Sie blicken zu Boden, wenn man versucht sie anzusehen. Sie sind auf die Kleider und die Angebote im Sozialmarkt angewiesen. Ob das die Menschen wissen, die die Container so zumüllen?
Quelle: Lausitzer Rundschau, Ausgabe Weißwasser vom 01.10.2019